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Deutsch

Jugend debattiert

Artikel aus: "Bildung Schweiz"

Mit Argumenten und Applaus

Wenn über 200 Jugendliche sich in einer Aula einfinden, ist der Grund selten politischer Natur. Eine Ausnahme ist der Debattierwettbewerb «Jugend debattiert». Am Realgymnasium Rämibühl in Zürich stritten Gymnastinnen und Gymnasiasten unter anderem über das Burka­verbot. Die Sieger der Vorausscheidung messen sich im März beim nationalen Finale in Bern.

An diesem Freitagmorgen darf gestritten werden. Unter Einhaltung strenger Regeln zwar, und nur mit sachlichen Argumenten. Dafür mit johlendem Publikum im Rücken. Unter tosendem Applaus für jede poin­tierte Aussage, für manchen zitierten Ver­fassungsartikel, für die meisten mit Pathos verzierten Appelle. Die SRF-Arena wirkt im Vergleich zu Jugend debattiert wie ein seichter Stehapéro. Rund 200 Jugendliche aus sechs Gymnasien im Raum Zürich haben sich in der Aula Rämibühl ein­gefunden, um ihre Exponentinnen und Exponenten beim Regiofinal von «Jugend debattiert» zu unterstützen.

Andere Meinungen vertreten
Viermal wird an diesem Vormittag debat­tiert. Je vier Diskutantinnen und Dis­kutanten argumentieren während einer knappen halben Stunde für oder gegen eine konkrete Sachfrage – zwei Pro und zwei Contra. Die Teilnehmenden erfahren erst 20 Minuten vor der Debatte, welche Position sie einnehmen. «Meinungen zu vertreten, die nicht unbedingt den eigenen entsprechen, schärft die Argumentation», sagt Christian Hachen, Regionalleiter Deutschschweiz von Jugend Debattiert. In einem Lehrgang von acht Lektionen bereiten Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler auf die Debatten vor. Bestand­teil sind unter anderem Argumentation und Rhetorik. Wie vermag ich, eine Mei­nung überzeugend darzulegen? Wie stelle ich Recherchen zu politischen Themen an? In acht Lektionen gibt dieser Lehr­gang, der für Sek I und Sek II angebo­ten wird, auf solche Fragen eine Antwort. Das Gelernte zeigen Teilnehmende wie Pascal Heinzmann, Xenia Eigel, Cyrill Huber und Durim Muratovic dann am Wettbewerb. Das Thema ihrer Debatte hat es in sich: Burkaverbot in der Schweiz.

Verfassung und Verschleierung
Als Moderator Ralph Fehlmann die Teil­nehmenden vorstellt, klatschen ihre Klas­senkollegen auf den Zuschauerrängen frenetisch. Stadionatmosphäre in der Aula Rämibühl. Pascal eröffnet die Runde mit einem von rhetorischen Mitteln gespick­ten Plädoyer für die Integration, für die zwischenmenschliche Kommunikation und gegen die Burka. Cyrill widerspricht und zitiert Artikel 8 der Bundesverfassung. Die religiöse Freiheit dürfe nicht einge­schränkt werden. Oder sollen etwa auch Kruzifxe und Kippas verboten werden? Xenia macht auf das Verschleierungsverbot aufmerksam. «Jemand, der mit einer Ski­maske durch Zürich geht, würde verhaf­tet werden», gibt sie zu bedenken. Der Schleier sei eine Barriere, und obendrein ein Symbol der Unterdrückung der Frau. Der letzte Teil der Aussage – eine Steil­vorlage für Durim. Er redet schnell und leidenschaftlich, ist sprachlich so stark, dass er nach der Anfangsrunde den bes­ten Eindruck hinterlässt. Ob denn auch farbige Haare ein Zeichen mangelnder Integration seien, fragt er rhetorisch in Xenias Richtung. Wegen 100 Frauen, die niemandem etwas täten, würde ein Verbot eine Gesetzgebungsmaschinerie in Gang setzen. Das sei nicht nur unverhältnismä­ssig, sondern auch diskriminierend. Die Diskussion nimmt immer mehr Fahrt auf. Auch auf Aktualitäten wie die Anschläge in Paris gehen die Diskutierenden ein. Nicht nur vorne auf dem Podium, auch im Publikum sind die Jugendlichen voll bei der Sache. Gespannt lauschen sie den Ausführungen ihrer Schulkollegen. Applaudieren, wenn sie einverstanden sind. Schütteln den Kopf, wenn eine Argumentation ihnen nicht zusagt. Auch für lustige Momente hat es in der Debatte Platz. So zum Beispiel, als Pascal zu einem gewagten Vergleich ansetzt: «Wenn ein Buddhist nackt im Supermarkt einkaufen geht, übt er dann auch seine Religionsfrei­heit aus? Das wäre doch auch verstörend, nicht?» Der Saal bricht in Gelächter aus.

Mut haben, die Meinung zu ändern
Hier lassen sich noch Unterschiede zur «erwachsenen» Politik feststellen. Die Debatte ist ein Rollenspiel. «Sich mit Ansichten anderer konfrontiert zu sehen und trotzdem den eigenen Standpunkt argumentativ zu vertreten, ist ein wichtiger Bestandteil der politischen Bildung», sagt Christian Hachen. Nach den Schlussplä­doyers zieht sich die vierköpfige Jury zur Beratung zurück. Nun erfolgt die Auflö­sung. Moderator Ralph Fehlmann fragt die Debattierenden, wie sie wirklich zum Burkaverbot stehen. Die Überraschung ist gross. Jene, die während der Debatte dafür argumentierten, sind eigentlich dagegen. Cyrill Huber, der die Rolle des Gegners einnahm, könnte sich ein Verbot hingegen gut vorstellen. Fehlmann spricht den vier Debattanten grosses Lob aus: «Ich mache das nun schon seit einigen Jahren, aber eine solch emotionale Diskussion habe ich noch selten erlebt», sagt er. Ins Publikum fragt Fehlmann, ob jemand im Verlauf der Debatte seine Meinung geändert habe. Vereinzelt heben Jugendliche die Hand. Warum? «Mich haben die Argumente der Contra-Seite überzeugt», sagt eine Schüle­rin. Vorher sei sie tendenziell eher für ein Verbot gewesen. Regionalleiter Hachen sagt dazu: «Politische Bildung heisst eben auch, sich Argumente anzuhören und fähig zu sein, gegebenfalls die Meinung zu ändern.»

Lehrmittel und Schulung
Diese und andere Fähigkeiten schult Jugend debattiert gezielt. Auf der Home­page können Unterrichtsmaterialien für Sek I und Sek II angefordert werden. Neben einem Lehrmittel, das als Anlei­tung zum Unterricht dient und mit kon­kreten Übungen auch auf den Wettbewerb vorbereitet, bietet Jugend debattiert auch eine Schulung für Lehrpersonen an. Diese bekommen in den Kursen, die regelmässig an Pädagogischen hochschulen angeboten werden, praxiserprobte Tipps zu Feedback, Lehrgang und Beurteilung sowie zur Integration der Methode in den Unter­richt. Übergeordnetes Ziel des Lehrgangs ist gemäss Jugend debattiert, die Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz der Schülerin­nen und Schüler im Unterricht zu fördern. Die Jury kehrt zurück. Der Sieger ist erko­ren. Jurorin Ursula Alder, Rektorin des Realgymnasiums Rämibühl, sagt, dass der Jury der Entscheid nicht leicht gefallen sei. «Pascal hat uns mit seiner sachlichen, ruhi­gen Art überzeugt.» Durim punktete bei der Jury mit seiner lebendigen Art und allerhand rhetorischen Fähigkeiten. Pascal Heinzmann vom Realgymnasium Rämi­bühl geht als Sieger aus der Debatte hervor. In den anderen Runden folgen ihm Lean­der Lelouvier (Stadelhofen), Eleni Tremp (Stadelhofen) und Andi Gashi (Kantons­schule Limmattal). Sie gehören zu den stol­zen 24 Finalisten, die sich am Wochenende des 21. und 22. März am nationalen Final in Bern messen werden.

Luca Ghiselli

Pascal Heinzmann, Xenia Eigel, Cyrill Huber und Durim Muratovic (von links) diskutieren im Rahmen des Regiofinals von Jugend debattiert über das Burkaverbot. Pascal Heinzmann geht als Sieger aus der Runde hervor und zieht in den nationalen Final in Bern ein. Foto: Roger Wehrli

Andi Gashi (A5) hat am 20./21. März 2015 am schweizweiten Final von "Jugend debattiert" teilgenommen.

Link zu einem Beitrag der Tagesschau (SRF):